Wenn ich an meine Kindheit denke, kommen mir unendlich viele Dinge in den Sinn: Freunde, Schule, Fußball, Urlaube mit den Eltern. Ein buntes Potpourri an vielen schönen, natürlich von Melancholie geprägten Erinnerungen. Und irgendwo dazwischen spielte auch der Fernseher eine Rolle.
Anders als heute. Nicht nur als Wiedergabegerät für Netflix, Prime oder Disney+, sondern tatsächlich zum Abspielen von linearem Fernsehen, welches damals eine völlig andere Bedeutung hatte. Es war ein Teil dieser Zeit, und irgendwo wohnte dem Fernsehen ein gewisser Zauber inne. Das galt nicht nur für Filme und Serien, sondern auch für die TV-Spots, die in regelmäßigen Abständen alles unterbrachen – und trotzdem irgendwie dazugehört haben.
Wenn man heute die TV-Werbung der späten 80er und 90er anschaut, merkt man, dass diese Spots etwas ganz Eigenes hatten. Nicht, weil damals niemand über Wirkung nachgedacht hätte – natürlich wurde getestet, diskutiert, verbessert. Aber vieles war trotzdem mutiger, direkter, unverkopfter. Es gab mehr Raum für Bauchgefühl, für Überzeugung, für den Satz: „Lass es uns versuchen, das könnte funktionieren.“
Und aus genau dieser Mischung aus Handwerk, Erfahrung und einer Prise Unvernunft sind viele der Spots entstanden, an die sich heute alle erinnern.
Die Frufoo-Werbung mit dem kleinen Alien, das aus dem Joghurtdeckel stieg.
Tony der Tiger, der jedes Frühstück wie ein Mini-Sportevent wirken ließ.
Die ausufernden Fantasiewelten von MB und Mattel, in denen 20 Sekunden gereicht haben, um eine ganze Abenteuerwelt ins Kinderzimmer zu zaubern.
Die McDonald’s-Werbung, die ein Besuch im Fast-Food-Restaurant für viele untrennbar mit dem Bild einer glücklichen Familie verknüpft hat.
Zwischen all diesem bunten, manchmal völlig überdrehten Durcheinander gab es einmal im Jahr einen Spot, der eine ganz andere Stimmung hatte. Während Frufoo, Mattel oder MB wie kleine Energie-Explosionen wirkten, fühlte sich dieser Werbeblock plötzlich langsamer an. Ruhiger. Wärmer. Fast schon besinnlich.
Man hat nicht bewusst auf ihn gewartet, aber wenn er lief, war sofort klar, dass jetzt etwas Besonderes beginnt.
Der rote Truck fuhr durchs Bild, begleitet von Lichtern, Chören und dieser Atmosphäre, die man als Kind nicht benennen konnte, die aber trotzdem unmittelbar im Bauch ankam. Es war, als würde der Spot nicht einfach laufen, sondern kurz die Stimmung im Raum verändern – als würde er ankündigen, dass jetzt eine Zeit beginnt, die sich anders anfühlt als der Rest des Jahres.
Als Kind habe ich das natürlich nicht eingeordnet.
Ich habe nicht darüber nachgedacht, wer das konzipiert, gedreht oder geplant hatte. Für mich war es einfach ein Moment, der sich jedes Jahr gleich anfühlte: warm, vertraut, irgendwie wichtig. Ein Gefühl, das den Schalter umgelegt hat – und das ich heute noch spüre, sobald die ersten Töne erklingen.
Lange bevor John Lewis oder Sainsbury’s ihre großen emotionalen Weihnachtsspots geprägt haben, war es dieser rote Truck, der aus einem simplen Getränk ein Gefühl machte.
Ich habe damals nicht gedacht: „starke Markenführung“.Ich habe gedacht: Jetzt wird’s ernst. Weihnachten steht vor der Tür.
Schnitt. Heute.
Ich sitze nicht mehr mit Kakao vor dem Fernseher (zumindest nicht mehr so oft), sondern mit dem MacBook vor YouTube, und der neue Spot läuft. Der Truck fährt. Die Lichter leuchten. Santa ist da. Tiere drängen sich ins Bild, die Musik setzt ein. Alles wirkt wie ein Déjà-vu in höherer Auflösung. Und dann ist da ein Gedanke, den es früher nicht gab:
Das hier ist nicht gedreht. Das ist generiert.
Der aktuelle „Holidays Are Coming“-Spot ist komplett mit generativer KI entstanden. Kein Schnee am Set, keine Crew, die im Dunkeln friert, keine Kamera, die mühsam den perfekten Winkel sucht. Stattdessen ein kleines Team, das Modelle trainiert, Prompts schreibt, Varianten verwirft, Feinschliff betreibt. Rund 70.000 generierte Clips. Wochen statt eines Produktionsjahres. Unzählige Versionen für verschiedene Märkte. Effizienz, Skalierung, globaler Rollout – aus Sicht einer Marke ist das ein Traum in roter Folie.
Und ich sitze davor und schwanke irgendwo zwischen Wow und Aua.
Wow, weil es technisch beeindruckend ist.
Weil fünf Menschen Dinge produzieren, für die es früher Hunderte gebraucht hätte.
Aua, weil ich genau weiß, dass irgendwo Illustrator:innen, Animator:innen und Filmcrews sitzen, die sich fragen, was es bedeutet, wenn ausgerechnet dieser Spot, dieser emotionale Fixstern der Branche, plötzlich ohne sie auskommt.
Und das Gemeine ist: Der Spot funktioniert.
In Tests läuft er hervorragend – solange niemand sagt, dass KI im Spiel ist. Die Bilder sind vertraut, die Emotion sitzt, der Truck trifft direkt ins limbische System.
Gleichzeitig brennt es in den Kommentaren.
„Seelenlos.“
„Pepsis bester Werbespot.“
Dazu viel Galgenhumor aus der Kreativszene. Und wenn jemand schreibt, Coca-Cola sei rot vom Blut arbeitsloser Kreativer – überspitzt, eindeutig. Aber nicht völlig aus der Luft gegriffen.
Und wir? Wir stehen genau in diesem Zwischenraum.
Als Agentur, die Marken, Kommunikation und KI ernst nimmt, sitzen wir in diesem Spalt aus Faszination und Skepsis. Wir haben keine Angst vor KI. Wir nutzen sie. Wir sehen, was möglich wird: Varianten denken, schneller testen, visuelle Räume öffnen, die früher an Zeit, Budget oder Physik gescheitert wären.
Aber wir sehen auch, was auf dem Spiel steht.
Wenn eine Marke wie Coca-Cola ihren emotionalsten Besitzstand durch Modelle laufen lässt, geht es nicht nur um Effizienz. Es geht um Magie.
Um dieses schwer erklärbare Gefühl, dass Menschen hinter etwas stehen, die mehr wollen als Content. Menschen, die an Shots gefeilt haben, Chöre aufgenommen, Schnee simuliert – und irgendwo auch selbst Gänsehaut hatten.
Heute lernen Modelle, wie „Coca-Cola-Weihnachten“ auszusehen hat.
Ein Teil von mir findet das aufregend.
Ein anderer bleibt vorsichtig.
Nicht aus Angst. Sondern weil KI das verstärkt, was wir ihr geben.
Wenn wir ihr nur „effizient, schnell, wiedererkennbar“ geben,bekommen wir genau das zurück. In (fast) perfekter, skalierbarer, aber auch austauschbarer Form.
Für uns bei reviergold ist dieser Spot deshalb kein Warnschild im Sinne von „Finger weg von KI“. Er ist eher ein leuchtendes Schild, auf dem steht:
Wenn ihr diese Werkzeuge nutzt, wisst genau, warum.
Denn KI kann Trucks bauen, Schnee streuen, Licht simulieren, Kamerafahrten berechnen.
Was sie nicht kann:
das Gefühl ersetzen, das man als Kind hatte, wenn man dachte:
Jetzt beginnt Weihnachten.
Diese Brücke zwischen Bild und Bauch bleibt menschlich.
Und genau dort sehen wir unseren Job.
Wir werden weiter mit KI arbeiten.Wir werden Konzepte damit denken.Wir werden experimentieren, scheitern, besser werden.Aber wir werden sie nie darüber entscheiden lassen, was Magie ist.

